In diesen Dokumenten wird unterschieden zwischen einem spezifischen Kurs über den Ökumenismus, in dem die Grundlagen, Methoden
und Ziele der Ökumene zu behandeln sind, und der ökumenischen Dimension, die in der Lehre jeder theologischen Disziplin enthalten sein
und entfaltet werden muss. Dabei bedingen sich beide Aufgaben wechselseitig. Denn ein spezifischer Kurs über den Ökumenismus kann nur
fruchtbar werden, wenn er darauf aufbauen und vertiefen kann, was
an ökumenischen Dimensionen in den einzelnen theologischen Disziplinen grundgelegt worden ist. Und auf der anderen Seite sind die einzelnen theologischen Disziplinen darauf angewiesen, dass ihre
ökumenischen Dimensionen in einem eigenen Kurs in einen systematischen Zusammenhang gebracht und für das konkrete ökumenische
Wirken gebündelt werden.
Im Folgenden widme ich meine Aufmerksamkeit in erster Linie nicht
der Entfaltung eines spezifischen ökumenischen Kurses, sondern den
ökumenischen Dimensionen der theologischen Disziplinen. Und statt
grundsätzlicher Erwägungen, die in den genannten Dokumenten nachgelesen werden können, versuche ich, das Geforderte an zwei theologischen Disziplinen zu konkretisieren, und zwar an solchen, bei denen
man sie im ersten Zusehen weniger erwartet und bei denen wichtige
Aufgaben wahrgenommen werden müssen, nämlich in der Liturgiewissenschaft und in der Theologie des Kanonischen Rechts.
Dass die historischen Disziplinen elementare ökumenische Dimensionen
aufweisen, dürfte sofort evident sein, weil man ohne geschichtliche
Kenntnisse der verschiedenen Kirchenspaltungen und der Ökumenischen
Bewegung das ökumenische Anliegen nicht verstehen kann. In den hi
storischen Disziplinen müssen in besonderer Weise auch die nicht
theologischen Faktoren untersucht werden, die zu Spaltungen in der
Kirche geführt haben. In diesem Sinn hat bereits früh Yves Congar gezeigt, dass kulturelle Entfremdungsprozesse die Spaltung in der Kirche
in Ost und West zu einem grossen Teil verursacht haben, so dass sich
die Christenheit in erster Linie nicht über unterschiedlichen Lehrformeln
zerstritten, sondern auseinandergelebt hat.
[6] Auf diesem Hintergrund
hat das Dekret über den Ökumenismus betont: «Die Unterweisung in
der heiligen Theologie und in anderen, besonders den historischen Fächern muss auch unter ökumenischem Gesichtspunkt geschehen, damit
sie umso genauer der Wahrheit und Wirklichkeit entspricht».
[7] Ebenso
evident dürfte sein, dass in den systematisch-theologischen Disziplinen
elementare ökumenische Dimensionen enthalten sind, die aufgezeigt
werden könnten anhand der verschiedenen ökumenischen Dialoge, in
denen in den vergangenen fünfzig Jahren viele Konvergenz — und
Konsens-Dokumente zu Fragen des christlichen Glaubens und der Kirchenverfassung erarbeitet und veröffentlicht worden sind, die wirklich
«Dokumente wachsender Übereinstimmung» geworden sind
[8] und die
dokumentieren, welchen grossen Beitrag die Systematische Theologie
für die Wiederherstellung der Einheit der Christen geleistet hat. Was
von der Theologie im Allgemeinen gilt, ist im Blick auf das ökumenische
Anliegen in besonderer Weise von der Ekklesiologie zu sagen.
[9]
2.1. Die ökumenische Dimension der Liturgiewissenschaft
Noch wichtiger als die ökumenischen Dimensionen der Systematischen Theologie sind in meinen Augen diejenigen der Doxologie, des liturgischen Lobpreises Gottes, in dem die Christen in verschiedenen Kirchen
einander gewiss näher kommen können als allein in der Theologie. Gerade im Blick auf die Liturgie leuchtet das Selbstverständnis der ökumenischen Verpflichtung ein, die das Zweite Vatikanische Konzil mit
der Grundüberzeugung zum Ausdruck gebracht hat: «Man muss den
Geist und die Sinnesart der getrennten Brüder kennen». Diese Überzeugung bildet die Voraussetzung für jeden ökumenischen Dialog, der
vom Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über den Ökumenismus
dahingehend konkretisiert wird, die Katholiken sollten sich «eine bessere Kenntnis der Lehre und der Geschichte, des geistlichen und liturgischen Lebens, der religiösen Psychologie und Kultur, die den Brüdern
eigen ist», erwerben
[10]. Auf dieser konziliaren Grundlage ist beispielsweise in den
Leitlinien für die wachsende Zusammenarbeit unter den Kirchen in Europa unter dem Namen Charta Oecumenica in erfreulicher
Weise die Selbstverpflichtung formuliert worden, «die Gottesdienste
und die weiteren Formen des geistlichen Lebens anderer Kirchen kennen und schätzen zu lernen»
[11].
Von daher wird deutlich, dass im theologischen Nachdenken über die
Liturgie in besonderer Weise das innerste Wesen des ökumenischen
Dialogs sichtbar wird, der nicht einfach in einem Austausch von Ideen,
Gedanken und Theorien besteht, sondern in einem bereichernden Aus-
tausch von Gaben. Da die verschiedenen Kirchen und kirchlichen Ge-
meinschaften ihre kostbarsten Gaben zweifellos in ihrem liturgischen
Leben bewahren und ihren grössten Reichtum in ihren Liturgien vor-
finden, gehört auch der ökumenische Austausch der liturgischen Gaben
zwischen den verschiedenen christlichen Glaubensgemeinschaften zu
den Aufgaben der Liturgiewissenschaft.
[12]
Dies zeigt bereits ein kurzer Blick in die Geschichte, in der ein solcher
ökumenischer Austausch von liturgischen Gaben stattgefunden hat.
Wenn wir uns die Prinzipien der Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Heilige Liturgie
Sacrosanctum concilium und der
Liturgiereform nach dem Konzil in Erinnerung rufen, werden wir bald
feststellen, dass sich die Katholische Kirche von den Liturgien in anderen Kirchen hat inspirieren lassen. Die Liturgien der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften haben
zweifellos einen grossen Einfluss auf die Wiederentdeckung der besonderen Bedeutung des Wortes Gottes und seines Ortes in der Liturgie
der Katholischen Kirche ausgeübt. Seit dem Zweiten Vatikanischen
Konzil ist die Zentralität des Wortes Gottes in der Liturgie der Katholischen Kirche selbstverständlich geworden und hat ihren Ausdruck
auch in der Dogmatischen Konstitution über die Göttliche Offenbarung
Dei verbum gefunden, in der die natürliche Verbindung zwischen der
Verkündigung des Wortes Gottes und der Liturgie besonders der Eucharistie mit den Worten ausgesprochen ist: «Die Kirche hat die Heiligen Schriften immer verehrt wie den Herrenleib selbst, weil sie, vor
allem in der heiligen Liturgie, vom Tisch des Wortes Gottes wie des Leibes Christi ohne Unterlass das Brot des Lebens nimmt und den Gläubigen reicht».
[13]
Auch aus dem Bereich der Liturgien in den Orientalischen und Orthodoxen Kirchen haben fruchtbare Einwirkungen auf Theologie und
Feiergestalt der Liturgie in der Katholischen Kirche stattgefunden, wie
am jeweiligen Grundverständnis der Liturgie beispielhaft verdeutlicht
werden kann. In der liturgischen Praxis ebenso wie in der Liturgiewissenschaft in der westlichen Tradition liegt der Akzent weitgehend auf
der Versammlung der Gemeinde und in der Folge auch auf der Frage,
wie die Liturgie zu gestalten sei, so dass sie dem Glaubensbewusstsein
der Gemeinde gerecht zu werden vermag. Im Unterschied zu dieser
weitgehenden Konzentration auf die Gemeindeperspektive wird die Liturgie in der ostkirchlichen Tradition immer auch und sogar prioritär
als ein kosmisches Geschehen verstanden, und zwar in dem Sinn, dass
die Liturgie vor allem der Eucharistie den eschatologischen Lobgesang des ganzen Kosmos vorwegnimmt und die himmlische Liturgie bereits
jetzt in die irdische Liturgie der Kirche hinein ragt und in ihr gegenwärtig ist, so dass sich Himmel und Erde berühren. Im ostkirchlichen Verständnis ist Liturgie sehr viel mehr als die Zusammenkunft einer mehr
oder weniger grossen Gemeinschaft von Menschen. Sie wird vielmehr
in die Weite des Kosmos hinein gefeiert, sie umgreift Geschichte und
Schöpfung zugleich und macht die Wand zwischen der himmlischen und
der irdischen Liturgie transparent. In Aufnahme dieser ostkirchlichen
Sicht der Liturgie betrachtet vor allem Papst Benedikt XVI. als ein zentrales Element einer liturgischen Erneuerung in der Katholischen Kirche
die Revitalisierung der kosmischen Dimension der Liturgie: «Die christliche Liturgie ist ein kosmisches Ereignis — die Schöpfung betet mit, wir
beten mit der Schöpfung, und dabei öffnet sich zugleich der Weg auf die
neue Schöpfung hin, auf die alle Kreatur wartet».
[14]
Die genannten Beispiele dokumentieren Einwirkungen von Liturgien
in anderen Kirchen auf die Liturgie der Katholischen Kirche. Einen Austausch von liturgischen Gaben lässt sich freilich auch in der umgekehrten Richtung feststellen. Theologie und Praxis der Liturgie in der
Katholischen Kirche nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil haben wesentlich dazu beigetragen, dass in den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ein weniger
belasteter Zugang zu Interpretation und Bezeichnung des Abendmahls
als Eucharistie möglich geworden ist und dass das zusammenhängende
Eucharistiegebet innerhalb der Liturgie des Abendmahls wieder gewonnen und damit als Kernstück der Abendmahlsfeier rezipiert werden
konnte. Als erfreuliche Konsequenz dieser Entwicklung, die F. Schulz
mit Recht als «Frucht ökumenischer Konvergenz» beurteilt hat
[15], darf
man die Tatsache würdigen, dass das altkirchliche Eucharistiegebet aus
der Kirchenordnung des Hippolyt von den englischen und amerikanischen Anglikanern, den amerikanischen Lutheranern und den Reformierten in der französischen Schweiz in ihre jeweilige Sammlung von
Eucharistiegebeten aufgenommen worden ist und so de facto zu einem
gleichsam ökumenischen eucharistischen Hochgebet geworden ist. Eng
damit zusammen hängt auch, dass das am ostkirchlichen Gedanken der
anaphora orientierte Verständnis des Opfers in der Theologie und Liturgie in der Katholischen Kirche dazu beitragen konnte, dass auch in
den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen und kirchlichen
Gemeinschaften, in denen vor allem in der Reformationszeit die sakrifizielle Dimension der Eucharistie heftig umstritten gewesen ist, ein
neuer Zugang zum Opfergedanken gefunden und damit das biblische
Verständnis des Opfers revitalisiert werden konnte, dass Gott selbst
schenkt, was wir ihm schenken, dass aber auch wir Menschen wirklich
Gott schenken, genauer das zurück schenken, was er uns gegeben hat.
[16]
Mit solchem ökumenischen Austausch von liturgischen Gaben werden auch die intimsten Berührungsflächen zwischen dem gottesdienstlichen Leben und dem Geistlichen Ökumenismus sichtbar, der die
innerste Mitte der ökumenischen Verpflichtung darstellt, den das Ökumenismusdekret als «Seele der ganzen ökumenischen Bewegung» bezeichnet
[17] und dem dementsprechend in der ökumenischen Bildung ein
besondere Schwerpunkt zugewiesen wird. Von daher könnte und
müsste die Liturgiewissenschaft noch intensiver als Kraftfeld für die
ökumenische Annäherung der Christen erschlossen werden.
Dies leuchtet vor allem dann ein, wenn man bedenkt, dass der
Schmerz der nach wie vor bestehenden Kirchentrennungen und der
noch immer ausstehenden vollen Gemeinschaft unter den Christen nirgendwo so spürbar erfahren wird wie im gottesdienstlichen Leben, vor
allem in seiner sakramental-eucharistischen Gestalt, der verschiedenen
Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften. Diesen Schmerz hat Kardinal
Augustin Bea, der erste Präsident des damaligen Sekretariats für die
Förderung der Einheit der Christen, mit den sensiblen Worten zum Ausdruck gebracht, das «sacramentum unitatis» sei zum «Zeichen der verlorenen Einheit» geworden. Denn in den Liturgien der verschiedenen
Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften wird auch die Uneinheit der
Gläubigen sichtbar, so dass man geradezu von einer «Epiphanie unheiliger Trennungen» sprechen muss.
[18] Diese Feststellung ist zweifellos ein
starkes Motiv für die Entfaltung der ökumenischen Dimensionen der
Liturgiewissenschaft, die am Dienst an der Einheit der Christen steht
und für die durchaus verheissungsvolle Ansätze vorliegen.
[19]
2.2. Die ökumenische Dimension des Kanonischen Rechts
Wenden wir uns nun der zweiten theologischen Disziplin zu, die ebenfalls wesentliche ökumenische Dimensionen aufweist, nämlich der
Theologie des Kanonischen Rechts. Bereits der heilige Papst Johannes
XX III. hatte bei der Ankündigung des Zweiten Vatikanischen Konzils
am 25. Januar 1959 in der Basilika San Paolo fuori le mura eine Reform
des Kanonischen Rechts in Aussicht gestellt und den Zusammenhang zwischen dem Konzil und der Erneuerung des Kirchenrechts mit den
Verben «accompagnare e coronare» umschrieben, und zwar in der
Überzeugung, dass die Erneuerung des Kirchenrechts die Arbeit des
Konzils mit dem Ziel begleiten und krönen sollte, um die aus dem Konzil
sich ergebenden Perspektiven für das Leben, die Leitung und die Disziplin der Kirche übersetzen zu können.
[20] In dieser Sinnrichtung hat der
heilige Papst Johannes Paul I I. in seiner Apostolischen Konstitution
«Sacrae disciplinae leges» zur Promulgation des neuen Codex Iuris Canonici im Jahre 1983 hervorgehoben, die nachkonziliare Erneuerung des
Kirchenrechts habe das Ziel verfolgen müssen, die konziliare Lehre über
die Kirche «in die kanonistische Sprache zu übersetzen».
[21] Er konnte
sogar betonen, der neue Codex gehöre zum Konzil selbst und sei gleichsam das «letzte Dokument des Konzils»
[22]
Auf diesem weiteren Hintergrund versteht man, dass es Papst Johannes Paul II, ein wichtiges Anliegen gewesen ist, den engen Konnex zwischen der Ekklesiologie des Konzils und der Kodifikation des
universalkirchlichen Rechts auch und gerade im Blick auf die ökumenische Verantwortung der Katholischen Kirche zum Tragen zu bringen.
Denn für ihn ist das Ziel der Wiederherstellung der Einheit der Christen
eines der entscheidenden Motive auch bei der Kodifikation des universalkirchlichen Rechts gewesen.
[23] Im eklatanten Unterschied zum Codex
von 1917, in dem die nichtkatholischen Christen nicht um ihrer selbst
willen Thema sind und in dem Zusammenkünfte zwischen Katholiken
und Nicht-Katholiken und in solchen geführte Gespräche grundsätzlich
verboten sind,
[24] findet sich im Codex von 1983 eine explizite Rechtsverpflichtung der Katholischen Kirche zur Teilnahme an der Ökumenischen
Bewegung.
[25] Dabei wird ausdrücklich betont, die Wiederherstellung der
Einheit aller Christen zu fördern sei die Kirche «kraft des Willens Christi
gehalten»,
[26] und es wird somit die ökumenische Verpflichtung der Katholischen Kirche im Testament Jesu begründet, so dass man von einer
ökumenischen Verpflichtung iure divino sprechen muss.
Die vom universalkirchlichen Gesetzgeber ausgesprochene Verpflichtung zur Wahrnehmung der Verantwortung für das ökumenische Anliegen zeigt sich auch darin, dass sie im Codex in besonderer Weise dem
Diözesanbischof ans Herz gelegt wird:
[27] «Gegenüber den Brüdern, die
nicht in der vollen Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen,
hat er (sc. der Diözesanbischof) Freundlichkeit und Liebe walten zu lassen und den Ökumenismus zu fördern, wie er von der Kirche verstanden wird».
[28] Die ökumenische Verpflichtung wird dabei im Kontext der
Umschreibung der Aufgaben des Diözesanbischofs, genauer der Ausübung seines Hirtenamtes festgeschrieben. Damit wird zugleich sichtbar, dass die Förderung des ökumenischen Anliegens im Dienst des
Bischofs nicht eine Frage der persönlichen Liebhaberei ist und dass es
sich dabei auch nicht um eine pastorale Zusatzaufgabe handelt, die man
angesichts von scheinbar wichtigeren Prioritäten zurückstellen könnte.
Die Verpflichtung zur Förderung des Ökumenismus ist vielmehr im Hirtendienst des Bischofs selbst impliziert, der wesentlich Dienst an der
Einheit ist, die freilich weiter zu verstehen ist als bloss die Einheit der
eigenen Diözesangemeinschaft, die vielmehr auch und gerade die getauften Nicht-Katholiken umfasst. Da der Bischof dabei gemäss dem Kirchenrecht den Ökumenismus zu fördern hat, «wie er von der Kirche
verstanden wird0», versteht es sich von selbst, dass er auf jene ökumenische Bildung zurückgreifen kann, die er im Theologiestudium erfahren hat.
Noch deutlicher als im Codex Iuris Canonici von 1983 für die Lateinische Kirche ist die ekklesiologische Rechtsverpflichtung zur Teilnahme an der Ökumenischen Bewegung in dem im Jahre 1990 von Papst
Johannes Paul II. promulgierten Rechtsbuch für die Katholischen Orientalischen Kirchen, im
Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium
(CCEO) formuliert, und zwar in einer dreifachen Hinsicht:
[29] Seine in
ökumenischer Sicht grundlegende Bedeutung besteht erstens darin,
dass die Katholische Kirche zum ersten Mal in der Geschichte zwei verschiedene Rechtsbücher kennt und damit eine gewisse Rechtspluralität
anerkennt, wie es bereits Papst Johannes XX III. bei der Ankündigung
des Konzils in Aussicht gestellt hatte. Im Unterschied zum CIC , der keinen eigenen systematischen Teil über die ökumenische Verantwortung
enthält, sondern sich mit verschiedenen Normen auf ökumenische Belange bezieht und die ökumenische Verpflichtung vor allem unter dem
Verkündigungsdienst in der Kirche verortet, ist zweitens im CCEO
neben einzelnen bedeutsamen Canones zu ökumenischen Themen dem
ökumenischen Auftrag der Kirche ein eigener Titel gewidmet, nämlich
Titel XVIII , der die Überschrift trägt: «Ökumenismus oder Förderung
der Einheit der Christen».
[30] Im grundlegenden Canon 902 werden dabei
alle Christgläubigen und in besonderer Weise die Hirten der Kirche zum
Gebet «für die vom Herrn gewünschte Fülle der Einheit der Kirche»
und zur tatkräftigen Mitarbeit am ökumenischen Werk verpflichtet,
«das von der Gnade des Heiligen Geistes erweckt wurde».
In ökumenischer Sicht fällt drittens besonders in die Augen die zeitliche Limitierung der Gültigkeit des CCEO und damit sein transitorischer Charakter. Bereits das Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über
die Katholischen Ostkirchen Orientalium ecclesiarum hält in seinem
Schlusssatz fest, dass alle in ihm enthaltenen Rechtsbestimmungen nur
für die gegenwärtigen Verhältnisse gelten, «bis die katholische Kirche
und die genannten Ostkirchen zur Vollendung der Gemeinschaft zusammenfinden».
[31] Im gleichen Sinn hat Papst Johannes Paul II. in seiner
Apostolischen Konstitution Sacri canones hervorgehoben, dass die Canones des CCEO Geltung haben, «bis sie ausser Kraft gesetzt werden
oder von der höchsten Autorität der Kirche aus gerechten Gründen abgeändert werden». Unter solchen gerechten Gründen ist dabei der wichtigste derjenige «der vollen Gemeinschaft aller Kirchen des Ostens mit
der katholischen Kirche».
[32] Damit ist deutlich, dass die klare zeitliche
Begrenzung der Gültigkeit des CCEO in der ökumenischen Perspektive
vorgenommen ist und die Katholischen Orientalischen Kirchen eine besondere ökumenische Verantwortung tragen, die im Konzilsdekret über
die Katholischen Ostkirchen klar umrissen ist: «Den mit dem Römischen Apostolischen Stuhl in Gemeinschaft stehenden Ostkirchen obliegt die besondere Aufgabe, gemäss den Grundsätzen des von diesem
Heiligen Konzil erlassenen Dekret über den Ökumenismus die Einheit
aller Christen, besonders der ostkirchlichen, zu fördern».
[33] Die zeitliche
Begrenzung der Gültigkeit des CCEO bedeutet von daher, dass dann,
wenn die volle Gemeinschaft zwischen der Katholischen Kirche und
den Orientalisch-Orthodoxen und Orthodoxen Kirchen verwirklicht
sein wird, die Aufgabe des CCEO erfüllt sein wird und eine neue Gesetzgebung in Angriff genommen werden muss.
Damit ist eine verheissungsvolle ökumenische Vision ausgesprochen,
nämlich die Entwicklung eines ökumenischen Kirchenrechts. Ein solches ist freilich in der heutigen Situation noch nicht möglich, da es die
erreichte Einheit der Kirche voraussetzt. In der heutigen Situation kann
es sich nur um ein Ökumene-Recht der Katholischen Kirche handeln.
Wenn man aber die in ihm ausgesprochene Grundverpflichtung aller
Getauften zur Teilnahme an der Ökumenischen Bewegung ernst nimmt, muss sie implizieren, dass künftige Entwicklungen im ökumenischen
Miteinander der Christen auch zu Weiterentwicklungen von kirchenrechtlichen Normen führen werden. Diese Rechtsverpflichtung stellt
aber bereits heute in ökumenischer Sicht eine grosse Hilfe dar, um eines
der zentralen Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils wach zu halten und zu fördern. Denn mit den beiden Rechtsbüchern ist zum Ausdruck gebracht, dass sich die ökumenische Verantwortung aus der
konziliaren Ekklesiologie von selbst ergibt und dass es sich dabei um
eine strenge Verpflichtung handelt.
Was vom Recht der Kirche ins Stammbuch geschrieben ist, gilt freilich für die ganze Theologie, dass sie nur dann ihre kirchliche Verantwortung und Sendung wahrnimmt, wenn sie sich im Dienst an der
Wiederherstellung der Einheit der Kirche versteht und ihren unverwechselbaren Beitrag einbringt. Dies kann nur auf dem Weg geschehen,
dass die Theologischen Fakultäten auf der einen Seite spezifische Kurse
für Ökumenische Theologie anbieten und dass auf der anderen Seite
alle theologischen Disziplinen sich verpflichten, ihre ökumenische Dimensionen zu pflegen und zu vertiefen. Denn die ökumenische Bildung
ist die Garantie dafür, dass auch morgen die Ökumene als eine heilige
Pflicht wahrgenommen wird und die Ökumenische Bewegung ihr Ziel
erreichen kann, das in der sichtbaren Einheit in einer versöhnten Vielheit besteht.
Dass sich die Pontificia Università San Tommaso d’Aquino dem ökumenischen Anliegen verpflichtet weiss, indem sie in Zusammenarbeit
mit unserem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen
den Corso «Ut unum sint» im Dienst der Formazione continua in ecumensimo anbietet, ihr Augenmerk auf die ökumenische Dimension der
theologischen Disziplinen richtet und den heutigen Festanlass diesem
wichtigen Thema widmet, nehme ich mit Freude zur Kenntnis und
danke herzlich, auch für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.
Noten
[1] JOHANNES PAUL II,
Ut unum sint, n. 20.
[2] Unitatis redintegratio, n. 5.
[3] J. (Card.) RATZINGER,
Vom geistlichen Grund und vom kirchlichen Ort der Theologie, in: IDEM,
Wesen und Auftrag der Theologie. Versuche zu ihrer Ortsbestimmung im Disput der Gegenwart, Einsiedeln 1993, SS. 39–62, zit. 41.
[4] Unitatis redintegratio, n. 1.
[5] PÄPST LICH ERRAT ZUR FÖRDERUNG DER EINHEIT DER CHRISTEN,
Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus, n. 58.
[6] Vgl. Y. CONGAR,
Zerstrittene Christenheit. Wo trennten sich Ost und West, Wien 1959.
[7] Unitatis redintegratio, n. 10.
[8] Vgl. H. MEYER et alii (Hrsg.),
Dokumente wachsender Übereinstimmung. Sämtliche Berichte und Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene, Bd. 1: 1931–1982, Paderborn – Frankfurt a. M. 1983; Bd. 2: 1982–1990, Paderborn – Frankfurt a. M. 1992; Bd. 3: 1990–2003, Paderborn – Frankfurt a. M. 2003; J. OELDEMAN N et alii (Hrsg.), Bd.
4: 2001–2010, Paderborn – Leipzig 2012.
[9] Vgl. H. DESTIVELLE,
L’Oecuménisme n’est pas une spécialité. Enseignement de l’oecuménisme et oecuménisme de l’enseignement: le cas de l’ecclésiologie, in IDEM,
Conduisla vers l’unité parfaite. Oecuménisme et synodalité, Paris 2018, SS. 199–209.
[10] Unitatis redintegratio, n. 9.
[12] Vgl. K. (Card.) KOCH,
Liturgiereform und Einheit der christlichen Kirchen, in: G.W. LATHROP – M. STUFLESSER (Hrsg.),
Liturgiereformen in den Kirchen. 50 Jahre nach Sacrosanctum concilium.
Theologie der Liturgie, Bd 5, Regensburg 2013, SS. 111–124, IDEM,
Gabe und Aufgabe. Roms Liturgiereformen in ökumenischer Perspektive, in: St. HEID
(Hrsg.),
Operation am lebenden Objekt. Roms Liturgiereformen von Trient bis zum Vaticanum II, Berlin 2014, SS. 11–26.
[14] J. RATZINGER,
Geleitwort zur koreanischen Ausgabe von “Der Geist der Liturgie”, in: R. VODERHOLZER – CH. SCHALLER – F.-X. HEIBL (Hrsg.), Mitteilungen. Institut Papst-Benedikt XVI. Bd 2, Regensburg 2009, SS. 53–55, zit. 54.
[15] F. SCHULZ,
Das Eucharistiegebet in den Kirchen der Reformation als Frucht ökumenischer Konvergenz. Rezeption und Revision, in K. SCHLEMMER (Hrsg.),
Gemeinsame
Liturgie in getrennten Kirchen, Freiburg i. Br. 1991, SS. 82–118.
[16] Vgl. K. LEHMAN N – E. SCHLINK (Hrsg.),
Das Opfer Jesu Christi und seine Gegenwart in der Kirche. Klärungen zum Opfercharakter des Herrenmahles. Dialog der Kirchen, Bd 3, Freiburg i. Br. – Göttingen 1983.
[17] Unitatis redintegratio, n. 8.
[18] T. BERGER,
Prolegomena für eine ökumenische Liturgiewissenschaft, in «Archiv für Liturgiewissenschaft» 29 (1987), SS. 1–18, zit. 2.
[19] Vgl. Ebd, SS. 1-18; K.-H. BIERITZ,
Chancen einer ökumenischen Liturgik, in «Zeitschrift für Katholische Theologie» 100 (1978), SS. 470–483; H.-J. FEULNER, “Ut omnes unum sint”. Zur ökumenischen Bedeutung einer vergleichenden Liturgiewissenschaft, in IDEM,
Liturgies in East and West. Ecumenical Relevance of Early Liturgical Development, Wien 2013; A. GERHARDS,
Liturgiewissenschaft: Katholisch – Evangelisch – Ökumenisch,
in M. MEYER-BLANCK (Hrsg.),
Liturgiewissenschaft und Kirche. Ökumenische Perspektiven, Rheinbach 2003, SS. 63–86; P. HARNONCOURT,
Gott feiern in versöhnter Verschiedenheit. Aufsätze zur Liturgie, zur Spiritualität und zur Ökumene, Freiburg i. Br. 2005; B. JEGGLE-MERZ – B. KRANEMANN (Hrsg.),
Liturgie und Konfession. Grundfragen der Liturgiewissenschaft im interkonfessionellen Gespräch, Freiburg i. Br. 2013; ST. KOPP,
Liturgie als Ernstfall gelebter Ökumene, in ST. KOPP – W. THÖNISSEN (Hrsg.),
Mehr als friedvoll getrennt? Ökumene nach 2017, Freiburg i. Br. 2017, SS. 339–357; B. KRANEMANN,
Gottesdienst als ökumenisches Projekt, in C. GRETHLEIN – G. RUDDAT (Hrsg.),
Liturgisches Kompendium, Göttingen 2003, SS. 77–100; IDEM,
Ökumenische Liturgiewissenschaft. Eine Bilanz 1963–2013, in U. DEEG et alii (Hrsg.),
Gottesdienst und Predigt – evangelisch und katholisch. Evangelisch-katholische Studien zu Gottesdienst und Predigt 1, Neukirchen-Vlyun-Würzburg 2014, SS. 40–69; G. V OSS , Gemeinschaft im geistlichen
Tun, in H.J. URBAN – H. WAGNER (Hrsg.),
Handbuch der Ökumenik, Bd 3/2, Paderborn 1987. SS. 216–265.
[20] GIOVANNI XXIII,
Questa festiva ricorrenza il 25 gennaio 1959, in: AAS 51 (1959), SS. 65–69.
[21] JOHANNES PAUL II,
Sacrae discipliae leges.
[22] IDEM,
Ansprache an die Bischöfe beim Kurs zur Einführung des Codex Iuris Canonici am 21. November 1983.
[23] Vgl. K. KOCH,
L’attività legislativa di Giovanni Paolo II e la promozione dell’unità dei Cristiani, in L. GEROSA (Hrsg.),
Giovanni Paolo II: Legislatore della Chiesa. Fondamenti, innovazioni e aperture. Atti del Convegno di Studio, Città del Vaticano 2013, SS. 160–177.
[24] Can 325 § 3 CIC/1917.
[25] Vgl. W. AYMANNS,
Ökumenische Aspekte des neuen Gesetzbuches der Lateinischen Kirche Codex Iuris Canonici, in «AfrKR» 151 (1982), SS. 479–489, bes. 479–484; H. HALLERMANN (Hrsg.),
Ökumene und Kirchenrecht – Bausteine oder Stolpersteine?, Mainz 2000; W. KASPER,
Diritto canonico ed ecumenismo, in M. GRAULICH (Hrsg.),
Il Codice di Diritto canonico al servizio della missione della Chiesa, Roma 2008, SS. 53–69.
[26] Canon 755 § 1 CIC/1983.
[27] Vgl. (Card.) K. KOCH,
Il Vescovo e l’ecumenismo, in CONGREGAZIONE PER I VESCOVI (Hrsg.),
Duc in altum. Pellegrinaggio alla Tomba di San Pietro. Incontro di riflessione per i nuovi Vescovi, Città del Vaticano 2001, SS. 263–281.
[29] Vgl. K. KOCH,
L’incidenza del CCEO sul dialogo ecumenico, in PONTIFICIO CONSIGLIO PER I TESTI LEGISLATIVI (Hrsg.),
Il Codice delle Chiese orientali. La storia, le legislazioni particolari, le prospettive ecumeniche. Atti del Convegno di studio tenutosi nel XX anniversario della promulgazione del Codice dei Canoni delle Chiese Orientali, Città
del Vaticano 2011, 43–50.
[30] Canones 902-908 CCEO.
[31] Orientalium ecclesiarum, n. 30.
[32] JOHANNES PAUL II,
Constitutio Apostolica Sacri canones vom 18. Oktober 1990.
[33] Orientalium ecclesiarum, n. 24.